Hoffnung auf eine V-förmige Erholung?
Ein Kommentar zur Börse und wirtschaftlichen Lage von Frank Wieser – Juli 2020.
„Runter mit dem Fahrstuhl und rauf mit der Treppe“, so hat eine große amerikanische Fondsgesellschaft die aktuelle Lage treffend zusammengefasst. Dem Totalabsturz der Wirtschaft und Börse Ende des Winters folgte ein deutlicher Börsenaufschwung und eine gewisse wirtschaftliche Stabilisierung. Börsianer und Politiker hoffen auf eine V-förmige Erholung, und es gibt ein paar Indikatoren, dass dem auch so sein könnte. Es gibt erste Medikamente, die den Krankheitsverlauf von Covid-19 beeinflussen können, und eine gewisse Hoffnung, dass in einem überschaubaren Zeitraum Impfungen zur Verfügung stehen. Politik und Notenbanken haben in riesigen Schuldenprogrammen alles dafür getan, dass die wirtschaftliche Struktur nicht zusammenbricht.
Aber ist die Hoffnung auf eine V-förmige Erholung berechtigt und werden sich die Aktienkurse parallel weiter erholen?
Contra
Zumindest einige Faktoren sprechen gegen ein solches Szenario:
- Um eine zweite Infektionswelle auszuschließen, müssen bestimmte Regeln weiter in Kraft bleiben. „Social Distancing“ bleibt bestehen und führt schon ganz zwangsläufig zu einem veränderten Konsumverhalten. Ob in der Bahn, beim Arzt oder im Restaurant – Abstandsregeln werden bleiben und es kann gar keine schnelle Rückkehr zur Normalität geben.
- Die wirtschaftliche Stabilisierung wird durch die massive Ausweitung des Kreditvolumens erreicht. Kredite gibt es aber nicht umsonst, Zinsen müssen gezahlt und Raten getilgt werden. Das kostet erst einmal.
- Eine schnelle Rückkehr zur Normalität funktioniert nur dann, wenn alle großen Wirtschaftsnationen „performen“. Ein gutes Infektionsmanagement in Deutschland ist zwar schön, im internationalen Wirtschaftskontext aber zu vernachlässigen. Immerhin brauchen unsere Unternehmen Vorprodukte aus China, und sie brauchen die USA und Europa als Absatzmärkte.
Pro
All diese Dinge wissen auch die Börsianer und trotzdem steigen die Kurse. Was auf den ersten Blick paradox aussieht, hat trotzdem eine gewisse Logik. Es ist einfach zu viel Geld da, das nach Anlage drängt. Außerdem habe viele Profiinvestoren die Jahre 2020 und 2021 schon abgehakt und schauen auf das übernächste Jahr. Was soll man sich auch Gedanken über Unternehmensgewinne in diesem Jahr machen, diese Dinge sind sowieso unkalkulierbar. Dies führt aber auch dazu, dass es einen zweiten Crash sehr wahrscheinlich nicht geben wird, sondern eher das, was man im Englischen als „bumpy road“ bezeichnet. Ein langer und schwieriger Weg, der zwar in die richtige Richtung zeigt, aber immer wieder Rückschläge aufweisen wird.
Wirtschaftliche Veränderungen
Dass die Wirtschaft sich durch Corona geradezu rasant ändert, zeigt ein simples Beispiel: Der Lieferdienst HelloFresh gehört zu den großen Profiteuren der Krise. Mit etwas über 4.000 Mitarbeitern weltweit ist er aktuell etwa ein Drittel mehr wert als die gesamte Commerzbank, die die zehnfache Mitarbeiterzahl aufweist und jetzt vor harten Einschnitten steht.
Die Digitalisierung verschlafen? Auf Veränderungen nicht flexibel und wach reagiert? Das kann sich kein Betrieb mehr leisten. Hier wirkt Corona nur als Verstärker jener Probleme, die schon vorher da waren. Unter diesem Blickwinkel hätte die Corona-Krise vielleicht sogar eine gute Seite. Sie fegt durch alle Ecken und stellt übermütige Start-ups genauso in Frage wie sie eingerostete Manager aufweckt.
Foto: Asife, stock.adobe.com
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