Plötzlich ist die Inflation zurück
Wieso steigt die Inflation gerade jetzt, wie kann man sich schützen und was sollten Stiftungen jetzt tun? Diesen Fragen geht Thomas Domeratzki nach und wirft schließlich auch einen Blick in die Zukunft.
Ein Fachbeitrag von Thomas Domeratzki, Bethmann Bank
Fonds-News April 2022 – Newsletter abonnieren
Was ist Inflation eigentlich?
Inflation bezeichnet die Veränderung des allgemeinen Preisniveaus. Monatlich wird die Inflationsrate als Änderungsrate eines Index berechnet, der die Kosten für den Konsum von Waren und Dienstleistungen eines repräsentativen Haushalts abbildet. In den vergangenen Monaten ist die Inflationsrate auf Niveaus gestiegen, die wir lange nicht mehr gesehen hatten: In Deutschland hat sie die Fünf-Prozent-Marke durchbrochen, in den USA beträgt sie mittlerweile mehr als sieben Prozent. Vor nicht allzu langer Zeit lagen diese Zahlen noch deutlich niedriger, und Zentralbanken waren besorgt, sie würden eine allgemeine Wachstumsschwäche ausdrücken.
Hinter der Inflationsentwicklung stehen mehrere Faktoren, die entweder als angebots- oder als nachfrageseitig klassifiziert werden können. Wie alle Preise ist auch das allgemeine Preisniveau durch Angebot und Nachfrage bestimmt, jedoch geht es hier um gesamtwirtschaftliche Größen. Eine Änderung des Preisniveaus kann somit auf Veränderungen der Angebots- und Nachfrageseite zurückgeführt werden. Die Angebotsseite ist dabei die Produktionsseite einer Volkswirtschaft. Die Nachfrageseite steht für die Summe der Akteure, die Güter und Dienstleistungen nachfragen. Im Wesentlichen sind das Privathaushalte, aber auch das Ausland, Unternehmen oder der Staat. Angebotsseitig wird die Inflation über die Produktionskosten oder über Einschränkungen der Produktion bestimmt. Die Produktionskosten können z. B. steigen, wenn Vorprodukte oder Rohstoffe teurer werden. Die Unternehmen werden dann gezwungen, zumindest einen Teil der Kosten auf die Konsumenten umzuwälzen. Man spricht hier von exogenen Inflationstreibern. Es sind also äußere Ereignisse, die einen Preisanstieg auslösen.
Auf der anderen Seite gibt es nachfrageinduzierte Inflation. Diese tritt üblicherweise in der Spätphase eines Konjunkturzyklus auf, wenn nahezu Vollbeschäftigung herrscht und Produktionskapazitäten nicht mehr erweitert werden können. Die Einkommen und damit die Konsumnachfrage sind dann üblicherweise hoch, das Angebot kann aber nicht mehr entsprechend erhöht werden. Wie immer in einer Marktwirtschaft führt die hohe Nachfrage bei einem beschränkten Angebot zu steigenden Preisen.
Wieso steigt die Inflation gerade jetzt?
Der Ausbruch der Coronapandemie führte zu einem plötzlichen Einbruch der globalen Wirtschaftsaktivität. Regierungen überall auf der Welt starteten riesige Konjunkturprogramme, es gab Kurzarbeitergeld, besondere Sozialleistungen, Unterstützungszahlungen für Unternehmen und vieles mehr. In den USA hatten einige Arbeitnehmer dadurch plötzlich mehr Geld zur Verfügung, als sie durch ihre Arbeit in einem Niedriglohnjob hatten. Diese Maßnahme brachte die Konsumnachfrage nach einem kurzzeitigen Einbruch schnell wieder auf normale Niveaus. Regierungen überall auf der Welt gaben ebenfalls mehr Geld aus und erhöhten damit die Nachfrage. Zentralbanken nahmen Anleihekäufe wieder auf oder weiteten sie aus. Die Gesamtheit dieser Maßnahmen führte zu einer schnellen Erholung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage. Die Angebotsseite hingegen konnte mit dieser schnellen Erholung nicht Schritt halten. Lieferketten waren und sind immer noch durch globale, Corona-bedingte Logistikprobleme und dem temporären Produktionsstillstand in asiatischen Fabriken gestört. Zusätzlich haben sich Konsumgewohnheiten während der Pandemie verändert – weg von Dienstleistungen, hin zu Gütern. Viele Unternehmen waren auf diese Veränderungen nicht vorbereitet. Hohe Nachfrage, die auf ein beschränktes Angebot trifft, führt dann zu steigenden Preisen. Hinzu kamen steigende Energie- und Rohstoffpreise, die einen zusätzlichen Inflationsschub ausgelöst haben.
In den USA ist die Inflationsdynamik mittlerweile in eine neue Phase getreten. Zu den exogenen Preistreibern kommen die Kapazitätsgrenzen der Wirtschaft –gut zu sehen am Arbeitsmarkt, auf dem schon nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften, was zu deutlichen Lohnsteigerungen führt. Dies kann in einer Lohn-Preis-Spirale enden, in der Unternehmen die gestiegenen Lohnkosten in Form höherer Preise an die Verbraucher weitergeben.
Aufgrund des Einmarschs Russlands in die Ukraine hat sich die Situation zusätzlich verschärft. Öl- und Gaspreise sind nach oben geschossen und werden die Inflation weiterhin auf hohen Niveaus halten. Dies kann sich auch auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Inflation bedeutet Realeinkommensverluste und damit nachlassenden Konsum. Mögliche Lieferengpässe aufgrund von Sanktionen können die Produktionsbedingungen ebenfalls verschlechtern. Insgesamt kann dies in einem Stagflationsszenario enden, in dem die Inflation hoch ist, das Wirtschaftswachstum aber auf niedrigem Niveau stagniert.
Wie kann man sich schützen?
Entscheidend wird in nächster Zeit das Verhalten der Zentralbanken sein. Sobald die Geldpolitik deutlich restriktiver wird, ändern sich die Bedingungen an den Finanzmärkten grundlegend. Während die amerikanische Notenbank wohl ihrem geplanten Zinserhöhungspfad folgt, könnten sich die Bedingungen in Europa aufgrund des Kriegs verändert haben. Selbst wenn höhere Energiepreise die Inflation anheizen, könnte die EZB den Fokus auf das Wirtschaftswachstum legen und in ihrer Politik eher expansiv bleiben.
Es ist insgesamt schwierig, sich vor Inflation zu schützen. Vor allem der Anleihenbereich bietet nur begrenzt Möglichkeiten. Aber es gibt über alle Anlageklassen hinweg durchaus Möglichkeiten, Vermögenseinbußen zu vermeiden. Es bedarf allerdings einer gewissen Risikobereitschaft. Wir haben eine Vermögensstrukturierung zusammengestellt, die aktuell gut funktioniert. Wir nutzen Rohstoffe, kurzlaufende Fremdwährungsanleihen, inflationsgeschützte Anleihen und im Aktienbereich eine Fokussierung auf Energieunternehmen sowie auf defensivere Sektoren, dies sind z. B. Grundstoffe oder der nicht-zyklische Konsum.
Da sich Inflation häufig im Einklang mit steigenden Energie- und Rohstoffpreisen entwickelt, liegt es nahe, direkt in diese Anlageklassen zu investieren, um an dem Preisschub zu partizipieren. Energie und Rohstoffe erfüllen aber normalerweise keine ESG-Kriterien. Insofern käme diese Möglichkeit für Anleger mit Nachhaltigkeit als Investmentziel nicht in Betracht.
Bei den Fremdwährungsanleihen interessiert uns vor allem der Währungseffekt. Japanischer Yen oder Schweizer Franken federn Risiken ab, während gerade angelsächsische Währungen von deutlich früheren Zinsanhebungen als in der Eurozone profitieren können. Auf der Aktienseite haben wir auch einen Teil der Allokation in den chinesischen Aktienmarkt vorgenommen, da China global etwas Diversifizierung von dem westlichen Konjunkturzyklus bieten kann.
Diese Allokation setzt sicherlich eine gewisse Risikofreude voraus. Aufgrund der niedrigen Anleiherenditen ist aber auch ein reines Anleiheportfolio schnell Verlustrisiken ausgesetzt. Es gibt derzeit keinen Renditepuffer mehr, der Kursverluste abfedern kann.
Gold ist unseres Erachtens kein guter Inflationsschutz, auch wenn es in Zeiten hoher Unsicherheit gefragt ist. Aber spätestens, wenn Zinsen steigen oder der US-Dollar aufwertet, kann Gold schnell unter Druck geraten. Besser geeignet sind dann eher Aktien, die trotz hoher Inflation noch von dem hohen Wirtschaftswachstum profitieren.
Was sollten Stiftungen tun?
Abgesehen von taktischen Erwägungen, d. h. die Steuerung der Vermögensstrukturierung in Antizipation des Konjunkturzyklus, sollte Freiraum für riskantere Anlagesegmente geschaffen werden. Aktien können auch in Zeiten anziehender Inflation positive Renditen liefern. Man sollte auf Titel achten, die eine gewisse Preissetzungsmacht haben, sodass Kosten auch an Kunden weitergegeben werden können. Wie oben beschrieben, könnte man alternative Anlageklassen wie Rohstoffe in die Überlegungen einbeziehen. Je nach spezifischen Vorstellungen sind auch weniger liquide Anlagemöglichkeiten wie Private Equity oder Immobilieninvestments einen zweiten Blick wert – unter Beachtung der jeweils spezifischen Risiken. Private Equity verlangt einen langen Investitionshorizont, Rohstoffinvestments erfolgen über Terminkontrakte.
Auf der Anleihenseite, gerade wenn es risikoärmer sein soll, bieten sich fast nur inflationsgeschützte Anleihen an. Es ist natürlich auch immer möglich, durch aktives Management Kursbewegungen zu nutzen. Aber insgesamt ist das Umfeld für Anleihen sehr schwierig, vor allem, wenn sich die Geldpolitik grundlegend verändert. Wir empfehlen, aufgrund der Schwierigkeiten im Anleihenbereich, ruhig etwas mutiger zu sein und auch eine gewisse Aktienpositionierung anzustreben. Hier erwirbt man Sachkapital und ist direkt am Wertschöpfungsprozess beteiligt. Eine andere Möglichkeit im Anleihebereich sind Fremdwährungsanleihen, mit denen man von regional unterschiedlichen Zinszyklen profitieren kann. Dies erfordert wegen der Schwankungsanfälligkeit und der Volatilität der Währunsbewegungen aber eine entsprechende Risikobereitschaft.
Ist die Inflation gekommen, um zu bleiben?
Es ist noch nicht abschätzbar, wie sich die Inflation in den nächsten Monaten entwickeln wird. Vor allem in Europa ist die Inflation stark durch die Energiepreise getrieben. Solange es hier keine Entlastung gibt, wird die Inflation weiterhin deutlich über dem Zwei-Prozent-Ziel der EZB liegen. Die Energiepreise werden aber irgendwann ihren Höhepunkt erreichen. Ab dann wird der Einfluss der Energiepreise auf die Inflation sukzessive nachlassen. Unklar ist allerdings, wann der Höhepunkt der Energiepreise erreicht sein wird. Dies hängt einerseits stark vom Ausgang des Kriegs in der Ukraine ab und andererseits von den Möglichkeiten und der Bereitschaft der OPEC-Länder zu reagieren.
Die Lieferkettenprobleme dürften sich nach und nach auflösen. Am bedeutendsten dürfte sein, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage schon bald ihr Vor-Corona-Niveau erreicht hat und dann nur noch verhalten wachsen wird, während sich das gesamtwirtschaftliche Angebot weiter erholt. Das bedeutet aber nicht, dass die Inflation zu den niedrigen Niveaus von 2020 zurückkehrt. Besorgnis ist auch nicht angebracht, solange die Inflation mit einer Zunahme der allgemeinen wirtschaftlichen Aktivität Hand in Hand geht. Dies ist wichtig für die Geldpolitik: Hohes Wirtschaftswachstum sollte von einer vorsichtigen Erhöhung der Zinsen begleitet sein, um die Wirtschaft vor einer Überhitzung zu schützen und das Wirtschaftswachstum wieder auf einen gleichgewichtigen Pfad zu bringen. Problematischer wäre ein Stagflationsszenario, in dem die Inflation hoch bleibt, das Wirtschaftswachstum aber zurückgeht.
2022 wird die Inflation – allein schon aufgrund des starken Anstiegs der Energiepreise – deutlich erhöht bleiben. In Europa könnten wir aber ab 2023 wieder deutlich niedrigere Zahlen sehen. In den USA dagegen ist es wahrscheinlich, dass aufgrund der guten konjunkturellen Lage die Inflation auch im nächsten Jahr klar über dem Zentralbankziel liegen wird.
Foto: MichaelJBerlin, stock.adobe.com
Autor dieses Fachbeitrags
Thomas Domeratzki ist seit rund acht Jahren bei der Bethmann Bank. Er ist Volkswirt und Investmentstratege im lokalen Investment Centre der Bethmann Bank und im globalen Investment Centre der ABN AMRO, hier im Global Asset Allocation Team mitverantwortlich u.a. für modellgestützte Analysen.

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