Blockchains und digitale Währungen
Newsletter-Beitrag, März 2018
Der Wert von Bitcoins ist im vergangenen Jahr kometenhaft gestiegen. Die Technologie hinter Bitcoins und anderen Krypto-Währungen hat das Potenzial, auch den NGO-Sektor tiefgreifend zu verändern. Krypto-Währungen basieren auf einer Technologie namens „Blockchain“. Was es damit auf sich hat, stellen wir Ihnen im folgenden Beitrag anhand einiger Beispiele aus NPO-relevanten Bereichen vor.
Ein Beitrag von David Lehr und Paul Lamb
Wie dezentrale Technologien NGO-Arbeit verändern können
Der Wert von Bitcoins ist im vergangenen Jahr kometenhaft gestiegen. Am 1. Januar 2017 war ein Bitcoin etwa $1.000 wert, Ende Dezember 2017 über $14.000. Die digitale Währung war bisher großen Schwankungen ausgesetzt, sie verlor im Juli 2017 ein Drittel ihres Wertes, erreichte Ende 2017 ein Hoch von fast 20.000 $ und fiel dann am 17. Januar 2018 kurzzeitig unter 10.000 $. Die Technologie hinter Bitcoins und anderen digitalen Währungen (auch Krypto-Währungen genannt) hat das Potenzial, tiefgreifende soziale Auswirkungen zu verursachen und so auch den NGO-Sektor zu verändern. Krypto-Währungen basieren auf einer Technologie namens „blockchain“. Im Wesentlichen sind das Online-Transaktionen in einer digitalen dezentralen Datenbank, verbunden und gesichert durch Kryptographie und gespeichert in einem Peer-to-Peer-Computernetzwerk. Aktualisierungen erfolgen in Echtzeit in Transaktionsblöcken ohne Beeinträchtigung oder Kontrolle durch eine zentrale Behörde. Die Transaktionshistorie kann von allen Benutzerinnen und Benutzern eingesehen, abgeschlossene Transaktionen jedoch nicht mehr verändert werden. Die Technologie ist faszinierend, weil die Transparenz und Sicherheit der im „blockchain“ gespeicherten Daten Vertrauen und Effizienz zwischen den Nutzern in einer bisher nicht gekannten Weise ermöglicht.
Die meisten Menschen assoziieren die Blockchain-Technologie ausschließlich mit Krypto-Währungstransaktionen – sie kann jedoch zur Aufzeichnung jeder Art von Austausch verwendet werden, wie beispielsweise Immobilienverkäufe, Audit-Daten, Wähleridentifikation oder Warenrückverfolgung. Die Blockchain kann auch automatisierte Verwaltung oder die Einhaltung von gesetzlichen Vorschriften unterstützen oder zum Beispiel Besitzern von Solarmodulen ermöglichen, automatisiert Strom an ihre Nachbarn zu verkaufen. Die breite Masse hat die Technologie allerdings noch nicht erreicht: Nur 0,5 Prozent der Weltbevölkerung nutzen sie, während mehr als 50 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet haben. Ähnlich wie beim Internet wird aber erwartet, dass es im Laufe der Zeit zu einer explosionsartigen Zunahme von Nutzern und Nutzungen kommt.
Einsatz im sozialen Bereich
In den folgenden Absätzen stellen wir Ihnen einige Beispiele aus der Praxis der Blockchain-Technologie in fünf für den NPO-Sektor relevanten Bereichen vor.
1. Philanthropie und internationale Hilfe
Einige Wohltätigkeitsorganisationen und Stiftungen nehmen Bitcoin- und andere Kryptowährungsspenden von Spenderinnen und Spendern an. Sie tauschen diese dann über eine Online-Geldbörse gegen die nationale Währung zum aktuellen Wechselkurs. Darüber hinaus haben manche Organisationen maßgeschneiderte „Charity-Münzen“ geschaffen, um Geld für bestimmte gemeinnützige oder soziale Projekte zu sammeln. Spender können zum Beispiel „Clean Water Coins“ kaufen, um die Arbeit der NGO Charity:Water zu finanzieren. Andere Beispiele sind „Root-Tokens“, die zur Finanzierung von Projekten zur Armutsbekämpfung geschaffen wurden, und „Impak-Coins“, die als Impact-Investitionsmechanismus dienen. Bis heute ist der Wert solcher spezialisierten Charity-Münzen-Angebote überall von ein paar Tausend bis zu mehr als einer Million Dollar pro Stück angestiegen.
Digitale Währungen und Blockchains haben auch zu einer Bewegung für mehr Transparenz in der Entwicklungshilfe geführt. Die BitGive Foundation hat eine Initiative mit dem Namen „GiveTrack“ ins Leben gerufen, die es Bitcoin-Spenderinnen und Spendern und der Öffentlichkeit ermöglicht, gemeinnützige Transaktionen auf einer öffentlichen Plattform in Echtzeit zu verfolgen, um zu sehen, wie die Gelder ausgegeben werden. Damit können sowohl die Erreichung des endgültigen Bestimmungsorts sichergestellt, als auch die Ergebnisse der Spenden verfolgt werden. Im Rahmen eines Experiments des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) wurden syrischen Flüchtlingen mit Sitz in Jordanien digitale Währungsgutscheine für den Handel auf ausgewählten Märkten zur Verfügung gestellt. Das WFP nutzte die Plattform um erfolgreich 1,4 Millionen Dollar an mehr als 10.000 Menschen zu übermitteln, wodurch die Gefahren des Bargeldtransports vermieden wurden. Damit hatte die Organisation eine effektivere und kostengünstigere Methode zur Verteilung und Verfolgung von Zahlungen in die Hand.
Diese neuen Anwendungen unterstützen sogar Spenden und Nachverfolgung von Wohltätigkeitsorganisationen des privaten Sektors. Chinas E-Commerce-Konglomerat Alibaba hat im vergangenen Jahr ein einzigartiges Blockchain-Spendensystem namens Ant Love gegründet. Es kann die Spenden von allen 450 Millionen Alibaba-Nutzern aufzeichnen und gibt ihnen die Möglichkeit, an verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen und NGOs zu spenden. Die Nutzerinnnen und Nutzer können so auch besser verstehen, wo und wie die Organisationen ihre Spenden verwenden.
2. Überweisungen
Einige Organisationen verwenden die Blockchain-Technologie, um die Kosten von Auslandsüberweisungen zu senken, die sich auf etwa 440 Milliarden Dollar jährlich belaufen – fast dreimal so viel wie die internationale Hilfe, die den Entwicklungsländern jedes Jahr gewährt wird. Gegenwärtig wird geschätzt, dass aufgrund der hohen Transaktionsgebühren mindestens 32 Milliarden Dollar an Überweisungen die Empfängerinnen und Empfänger nicht erreichen. Der Überweisungsdienst Abra erhebt den Anspruch, die Transaktionsgebühren um 90 Prozent zu senken. Bereits in 155 Ländern aktiv, wandelt Abra Geld in Bitcoins um, überträgt es über seine Blockchain-Plattform und rechnet es am anderen Ende in einer lokalen Währung ab. Jede und jeder kann eine Überweisung per Smartphone vornehmen.
Andere Überweisungssysteme wie BitPesa und Rebit nutzen ebenfalls Blockchain-Technologie und Bitcoin. Mit der Überweisungsplattform von BitPesa beispielsweise liegen die Transaktionsgebühren für Privatpersonen und Unternehmen zwischen 1 und 3 Prozent, verglichen mit bis zu 20 Prozent, die von etablierten Geldtransferunternehmen erhoben werden. Zudem kann ein Transfer, der normalerweise bis zu einer Woche dauern kann, an einem Tag stattfinden.
3. Identität und Landrechte
Nach Angaben der Vereinten Nationen fehlt jedem fünften Menschen weltweit eine legale Identität. Die Rate der Flüchtlinge, die oft plötzlich fliehen müssen, ist vermutlich sogar noch höher. Das Projekt „World Identity Network and Humanized Internet“ kann Dokumente wie Geburtsurkunden und Universitätsabschlüsse in einer Art digitaler Schließfächer in einer Blockchain speichern. Benutzer können ihre Informationen privat und sicher aufbewahren und die Erlaubnis erteilen, darauf zuzugreifen.
Project Amply baut ein digitales Identitäts- und Subventionsmanagementsystem mit einer Blockchain für Schulkinder in Südafrika auf, um ein veraltetes Papiersystem zu ersetzen. Kinder (und ihre Erziehungsberechtigten) besitzen und kontrollieren privat ihre digitale Identität und ihre persönlichen Daten. Das System verfolgt die Erbringung von Entwicklungsdienstleistungen. Investoren und Dienstleister können die Daten nutzen, um ihre Unterstützung gezielter zu gestalten. Es spart auch Verwaltungszeit und -kosten und liefert bisher nicht verfügbare Informationen darüber, wie und wo beispielsweise Schulen und Unternehmen im NPO-Sektor Dienstleistungen erbringen.
Eine weitere bahnbrechende Anwendung der Blockkette ist die Sicherung von Landrechten. Der Nachweis von Landbesitz ist in vielen Teilen der Dritten Welt eine Herausforderung, wo starke Ungleichheiten in der Verteilung von Geld und Macht vorherrschen, die es vor allem ärmeren Landbesitzern erschweren, ihre Eigentumsrechte durchzusetzen und Landraub durch Regierungen und Unternehmen abzuwehren. Die Organisation Bitland erprobt ein Projekt in Ghana, um Dienstleistungen anzubieten, die es Einzelpersonen und Gruppen ermöglichen, Land- und Eigentumsurkunden in einer Blockchain zu erfassen und somit eine permanente und prüffähige Aufzeichnung zu erstellen. Bitland fungiert auch als Verbindungsstelle mit der Regierung, um bei der Beilegung von Streitigkeiten behilflich zu sein.
Mehrere Regierungen, darunter jene in Dubai, Estland, Georgien und Schweden, arbeiten an Blockchain-basierten Ansätzen zur Sicherung von Eigentumsrechten.
4. Regierungsführung und Demokratie
Regierungen und Zivilgesellschaft können die Blockchain-Technologie auch einsetzen, um demokratische Prozesse und Partizipation zu stärken. Blockchain-Systeme wie Ballotchain können Abstimmungen bei Online-Wahlen sicher und anonym verwalten. Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben die Möglichkeit, sie jederzeit zu überprüfen. Das System stellt sicher, dass die Wählerinnen und Wähler nicht doppelt wählen und Wahlbetrug begehen können.
Eine weitere Anwendung der Blockchain im Governance-Bereich ist das Peer-to-Peer-Voting (nicht durch Regierungen) und die Möglichkeit, die eigene Stimme auf eine andere vertrauenswürdige Partei zu übertragen. Eine App namens Sovereign ist einer dieser Anbieter der sogenannten „flüssigen Demokratie“. Die Schöpfer des Instruments, Democracy Earth, sehen in der Blockchain die Chance, eine neue Form der Global Governance zu etablieren, die über nationale Grenzen hinausgeht und Demokratie als universelles Menschenrecht vollständig verankert. Dieses Wunschdenken ist bereits durch einen Blockchain-basierten Nationalstaat namens Bitnation im Spiel.
Follow My Vote ist ein Startup, das Abstimmungsprozesse durchführt und Identitätsdiebstahl verhindert. Einer der wesentlichen Vorteile besteht darin, dass die Benutzer die Wahlentscheidung zu jedem Zeitpunkt überprüfen können. Die Ukraine experimentiert bereits mit Blockchains, um sichere und überprüfbare Kommunalwahlen zu unterstützen. Die Implementierung hat in einigen Städten mit E-vox begonnen, einer Blockchainplattform, die speziell für Kommunalwahlen entwickelt wurde.
5. Umweltschutzmassnahmen
Im Umweltbereich können neue Blockchain-gestützte Supply-Chain-Management-Systeme, Produkte vom Bauernhof bis auf den Tisch verfolgen und zeigen, ob es sich bei einem Lebensmittel um Bio- oder Fairtrade-Produkte handelt. Das Startup Everledger hat einzigartige Daten zu mehr als 1,6 Millionen Diamanten in einer Blockkette hochgeladen, um die Herkunft von Diamantprodukten zu bestimmen und den Fluss von „Blutdiamanten“ zu kontrollieren. In einem anderen Beispiel wird daran gearbeitet, eine transparente globale Datenbank über Korallenriffe zu erstellen. So kann das benötigte Wissen zum Schutz der Riffe erweitert werden.
Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt
Trotz des vielversprechenden Charakters der Blockchain ist sie noch eine junge Technologie und stellt eine Reihe von Herausforderungen dar. Zum einen stützt sie sich auf komplizierte Authentifizierungsalgorithmen und Kryptographie. Während die Anwenderinnen und Anwender keine Expertinnen und Experten für Blockchains sein müssen, benötigen die auf der Blockchain-Technologie basierenden Tools, genauso wie Browser und Anwendungen dringend menschliche Schnittstellen. Nur wenige technische Schnittstellen sind wirklich benutzerfreundlich und sinnvoll für eine groß angelegte Einführung.
Die Anwendung der Blockchain für soziale Herausforderungen befindet sich in einem Hype und darf nicht überbewertet werden. Die scheinbar allmächtigen Lösungen bringen auch einige Problematiken mit sich, gerade weil die Entwicklung von IT-Entwicklern und nicht von der NPO-Szene vorangetrieben wird. Organisationen dieser Szene treten noch in den Hintergrund, wenn es darum geht, die Relevanz und die angemessene Anwendung der Technologie zu bestimmen. Aber selbst wenn der soziale Sektor die Führung übernimmt, verfügt dieser wiederum möglicherweise nicht über die Ressourcen oder technischen Fähigkeiten, um ihre Ideen in die Tat umzusetzen.
Eine weitere Herausforderung ergibt sich aus der Unveränderlichkeit der Blockchain. Wenn eine Meinungsverschiedenheit zwischen zwei an einer Transaktion beteiligten Parteien auftritt, gibt es keine Möglichkeit, Änderungen vorzunehmen. Diese würden erfordern, dass das Netzwerk einen zusätzlichen Datensatz (bzw. Block) erstellt, um eine Änderung zu bestätigen. Wenn Einzelpersonen sich nicht auf eine Änderung einigen können, bleiben sie für immer an der ursprünglichen Vereinbarung hängen. Was passiert, wenn eine Blockchain-basierte Grundstücksurkunde, die von einer Grundbesitzerin oder Grundbesitzer auf einen armen Landwirt übertragen wird, versehentlich einen Teil der ausgetauschten Parzelle nicht miteinbezieht? Wenn die Grundbesitzerin oder der Grundbesitzer sich weigert, Änderungen an der Vereinbarung vorzunehmen, gibt es keine Möglichkeit zum Einspruch. Dies ist die Kehrseite des Mangels an Vermittlern, einer klaren Governance-Struktur und eines vollständig menschlich-integrierten Systems. Mehr Standards, Regeln und Best Practices sind daher erforderlich.
Schließlich ist der Markt für Organisationen des sozialen Sektors, die Bitcoin und andere digitale Währungen verwenden, sehr volatil und weitgehend unreguliert. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Krypto-Währungen an einem Tag 10 Prozent oder mehr an Wert verlieren. Wer in der Krypto-Währungs-Arena aktiv ist, muss einen starken Risikoapparat haben, insbesondere diejenigen, die auf stabile Finanzierungsströme angewiesen sind.
Was kommt als nächstes?
Während einige gut bedient wären, nicht zu sehr vom Hype überrollt zu werden, sollten NGOs und Philanthropen anfangen, mehr über die einzigartigen Möglichkeiten der Blockchain zu lernen und das Feld mitzugestalten. Es gibt noch einige potenzielle Möglichkeiten als die oben genannten, einschließlich der Verwendung von Blockchains zur Wirkungsbeobachtung und -messung. Diese Anwendungen könnten dazu beitragen, die Arbeitsweise des sozialen Sektors neu zu gestalten und sowohl den Organisationen im sozialen Bereich als auch ihren Begünstigten neue Vorteile bieten.
Es gibt bereits erhebliche zeitliche und ressourcenbezogene Investitionen in Blockchain-basierte Technologien durch eine Vielzahl an Organisationen. Dazu gehören die Bill and Melinda Gates Foundation, Unicef, die Weltbank, private Unternehmen wie Consensys und Kooperationen wie die Blockchain for Social Impact Coalition. Die Kombination aus großem Interesse und Investment wird die weitere Entwicklung der Branche vorantreiben.
Ein wichtiger nächster Schritt ist die Schaffung eines zentralen Gremiums, um neue Lösungen zu entwickeln und die Anwendung von Blockchains und digitalen Währungen im NPO-Bereich zu steuern. Es gibt noch viele offene Fragen, beispielsweise wie sich die Blockchain mit dem Internet der Dinge und der künstlichen Intelligenz überschneiden wird. Während Experimente in allen Bereichen durch Innovationslabors, Hackathons, Investitionen in Social Entrepreneurs, feldbasierte Projekte und Collaborative Building gefördert werden sollten, könnte das Feld auch von einem Koordinierungsgremium profitieren. Letztendlich müssen wir neue Standards und Best Practices entwickeln, damit wir den Faktor Mensch besser in neue Technologielösungen einfließen lassen können, die ein enormes Potenzial zur Lösung sozialer und ökologischer Probleme bergen.
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