Was darf der Vorstand in Corona-Zeiten?
Mitgliederversammlungen können zurzeit nicht stattfinden und die schriftliche Beschlussfassung oder eine virtuelle Versammlung ist nicht oder nur erschwert möglich. Für den Vorstand stellt sich deswegen oft die Frage, was er auch ohne Zustimmung der Mitgliederversammlung entscheiden kann und in welchen Fällen ein solcher Alleingang Haftungsfolgen für ihn hat.
Zunächst gilt: Die Vertretungsbefugnis des Vorstands ist grundsätzlich unbeschränkt. Alle Rechtsgeschäfte, die er erkennbar für den Verein tätigt, sind wirksam und verpflichten den Verein. Nach § 40 BGB sind bei der Vertretungsbefugnis andere Regelungen durch die Satzung möglich. Die müssen aber ins Vereinsregister eingetragen werden. Einschränkungen der Vertretungsbefugnis sind sowohl betragsmäßig als in sachlicher Hinsicht denkbar.
Verstößt der Vorstand gegen eine solche Beschränkung der Vertretungsbefugnis, haftet er dem Vertragspartner gegenüber persönlich. War seine Vertretungsbefugnis nicht beschränkt, haftet der Verein für die Erfüllung des Vertrags. Ein Haushaltsbeschluss oder eine bestimme Vorgabe durch die Mitgliederversammlung liefert – wenn überhaupt – nur einen möglichen Anspruch des Vereins gegenüber dem Vorstand, die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte nach außen wird davon nicht berührt. Der Verein kann aber den Vorstand in Haftung nehmen, wenn der seine Kompetenzen überschritten hat.
Grundlagengeschäfte und gewöhnlicher Geschäftskreis
Grundsätzlich gilt: Rechtsgeschäfte (Mittelverwendung) im „gewöhnlichen Geschäftskreis“ darf der Vorstand ohne Zustimmung der Mitgliederversammlung (MV) tätigen. Dazu gehört alles, was üblicherweise und regelmäßig anfällt und auch bisher schon ohne Abstimmung mit der MV gemacht wurde (Vereinsherkommen).
„Grundlagengeschäfte“ dagegen bedürfen der Zustimmung der MV, auch wenn die Satzung das nicht ausdrücklich regelt. Dazu gehören auch Geschäfte, die für den Verein von besonderer wirtschaftlicher Bedeutung sind. Dazu gehören z.B. außergewöhnlich hohe Ausgaben, z.B. für den Bau oder die Anschaffung einer Immobilie. Hier sollte der Vorstand im Eigeninteresse – zur Vermeidung einer Inhaftungnahme – die Zustimmung der MV einholen.
Geschäfte außerhalb dieses gewöhnlichen Geschäftskreises bergen ein Risiko: Die MV könnte die Mittelverwendung als unzulässig betrachten und den Vorstand in Haftung nehmen. Auch diese Geschäfte sind nicht zustimmungspflichtig (außer die Satzung regelt das so). Die fehlende Zustimmung kann aber zur Haftung des Vorstands führen.
Haushaltsplan
Sieht die Satzung die Aufstellung eines Haushaltsplans vor, dem die Mitgliederversammlung zustimmen muss, ändert sich die Situation nicht grundlegend. Der Beschluss über den Haushaltsplan ist vor allem eine Vorabentlastung. Die Mitgliederversammlung kann also den Vorstand nicht in Haftung nehmen für Geschäfte, die durch den Haushaltsbeschluss genehmigt wurden.
Wird der Vorstand – obwohl die Satzung das verlangt – ohne Haushaltsbeschluss tätig, führt das nicht zwingend zu einer Haftung. Grundsätzlich darf der Vorstand von solchen Vorgaben abweichen, wenn die Umstände das erfordern. Er muss das aber an die MV zurückmelden.
Haftung des Vorstand bei Geschäften ohne Genehmigung
Grundsätzlich kann der Vorstand vom Verein in Haftung genommen werden. Dafür muss sich aber eine Mehrheit in der MV finden, weil Haushaltsbeschlüsse (wenn die Satzung das nicht anders regelt) mit einfacher Mehrheit gefällt werden. Ein einzelnes Mitglied kann also keinen Schadensersatz fordern.
Ein Risiko besteht für den Vorstand also nur, wenn sich tatsächlich eine Mehrheit finden könnte, die mit dem Rechtsgeschäft nicht einverstanden ist und wenn dieses Rechtsgeschäft zudem außerhalb des gewöhnlichen Geschäftskreises lag. Hier wäre aber auch einzubeziehen, dass sich die Finanzlage des Vereins durch die Coronakrise eventuell ändert und damit der Vorstand auch seine Ausgabenplanung anpassen muss.
Das Geschäft kann auch nachträglich genehmigt werden oder ungenehmigt bleiben, wenn es keine entsprechenden Anträge in der MV gibt. Aus der Treupflicht der Mitglieder ergibt sich, dass eine Inanspruchnahme des Vorstands zeitnah eingefordert werden muss – also regelmäßig mit der nächsten Versammlung.
Die virtuelle Mitgliederversammlung
Das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ hat die Möglichkeit einer virtuellen Mitgliederversammlung geschaffen. Es bleiben aber viele Fragen offen.
Die schriftliche Beschlussfassung ist zwar durch das Gesetz vereinfacht worden. Weil aber auch hier ein Beteiligungsquorum von 50 % vorgesehen ist, kommt diese Form der Beschlussfassung für viele Vereine nicht in Frage. Möglich ist aber jetzt auch eine virtuelle Versammlung ohne Satzungsgrundlage.
Artikel 2, § 5 Abs. 2 des Gesetzes regelt für Mitgliederversammlungen, die 2020 stattfinden:
(2) Abweichend von § 32 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung Vereinsmitgliedern ermöglichen,
1. an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilzunehmen und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation auszuüben oder
2. ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung ihre Stimmen vor der Durchführung der Mitgliederversammlung schriftlich abzugeben.
Die Regelung erlaubt also:
- virtuelle Mitgliederversammlungen
- Mischformen, bei denen ein Teil der Mitglieder seine Stimme vorher schriftlich abgibt
- Mischformen aus virtueller und realer Versammlung, bei der z.B. der Vorstand an einem Ort versammelt ist und die Mitglieder per Videokonferenz zugeschaltet sind
- Eine virtuelle Versammlung mit Abstimmung per E-Mail oder Messenger-Diensten wie z.B. WhatsApp.
In allen Fällen bedeutet „schriftlich“ in Textform. Das schließt eine elektronische Form ebenso ein wie Fax.
Für die virtuelle Versammlung gelten ansonsten die allgemeinen und Satzungsvorgaben:
- Auch Mitglieder ohne Stimmrecht müssen eingeladen und beteiligt werden.
- Es gelten die üblichen gesetzlichen und satzungsmäßigen Mehrheitserfordernisse und Beteiligungsquoren.
- Die satzungsmäßige Ladungsfrist muss eingehalten werden.
- Die Tagesordnung muss nach den satzungsmäßigen Vorgaben aufgestellt und den Mitgliedern schon bei der Einladung mitgeteilt werden, wenn die Satzung das nicht anders regelt.
- Es gelten die gleichen Vorgaben für die Protokollierung.
Welche Technik?
Technische Vorgaben macht das Gesetz nicht. Es sind alle Verfahren zulässig, bei denen sich die Mitglieder in Wort- oder Textform beteiligen können. Dabei wird es leicht zu einer Vermischung von virtueller Versammlung und schriftlicher Beschlussfassung kommen können, für die das genannte Beteiligungsquorum gilt. Eine virtuelle Versammlung wird also live stattfinden müssen, d.h. per Videokonferenz, Telefonkonferenz oder Chat. Die bloße Beschlussfassung ohne Diskussion wird dagegen als schriftliche Beschlussfassung gelten.
Die Sicherstellung, dass nur Mitglieder teilnehmen, ist durch ein internetübliches Authentifizierungsverfahren ausreichend gewährt (Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 27.09.2011, I-27 W 106/11). Die virtuelle Versammlung sollte also in einem passwortgesicherten Online-Raum mit vorheriger Mitteilung des Passworts erfolgen. Die Teilnehmer sollten ihre Identität durch Verwendung des Klarnamens kenntlich machen.
Die Anforderungen an das Authentifizierungsverfahren sind demnach grundsätzlich nicht sehr hoch. Es bleibt aber das Problem, dass Beschlüsse anfechtbar sind, wenn Nichtmitglieder bei der Stimmabgabe beteiligt waren. Besonders bei der Beschlussfassung sollte also auf ein sicheres Verfahren geachtet werden. Denkbar wäre z. B., dass für die Stimmabgabe eine zusätzliche Authentifizierung erfolgt, etwa in Form eines Codes, der nur einmal benutzt werden kann – analog zu den Transaktionsnummern beim Online-Banking.
Ein vielfach geäußerter Einwand gegen Online-Mitgliederversammlungen ist der Verweis auf den Grundsatz, dass die Teilnahme an der Versammlung keinem Mitglied unangemessen erschwert werden darf. Wenn die Satzung keine Regelung trifft, kommen virtuelle Versammlungen nicht in Frage, wenn Mitglieder wegen fehlender technischer Ausstattung oder Kenntnisse nicht teilnehmen können. In der Praxis wird man also abklären müssen, ob es hier Einwände von Mitgliedern gibt, weil diese die Beschlüsse sonst anfechten können.
Fazit
Die rechtliche Neuregelung lässt viele Fragen offen und sichert leider noch keine rechtsichere Durchführung einer virtuellen Mitgliederversammlung. Zu empfehlen ist sie vor allem dann, wenn keine Bedenken von Seiten der Mitglieder zu erwarten sind. Es empfiehlt sich nach wie vor, die virtuelle Mitgliederversammlung in der Satzung zu regeln.
Quelle: www.vereinsknowhow.de
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