Was ist nachhaltig, Herr Friesenbichler?
Interview mit Mag. Reinhard Friesenbichler, dem Spezialisten für nachhaltiges Investment und Management
Die Fragen stellte Marc Lindenpütz, Haus des Stiftens
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Herr Friesenbichler, wie lange beschäftigen Sie sich bereits mit Nachhaltigkeit in der Geldanlage?
Seit ich als Student in der Schlussphase meines Betriebswirtschaftsstudiums auf der Suche nach einem spannenden Thema für die Diplomarbeit über den Begriff „Ökofonds“ gestolpert bin. Wir schreiben das Jahr 1995 – also Steinzeit aus Sicht der nachhaltigen Geldanlage.
Was war das Ausschlaggebende für diese Leidenschaft?
Ich war schon als Student sehr aktiv und begeistert am Aktienmarkt unterwegs. Zugleich interessierte ich mich für technische und naturwissenschaftliche Themen. Statt mich auf eine Richtung festzulegen, suchte ich ein Tätigkeitsfeld, das all meine Interessen vereint – und fand es im nachhaltigen Investment. In den 1990er-Jahren gab es dafür noch kein klares Berufsbild, aber durch meine Diplomarbeit zu ethischen Investmentfonds bekam ich 1997 die Chance, für einen Schweizerischen Asset Manager den ersten Ethikfonds im deutschsprachigen Raum mitzuentwickeln. Seitdem lässt mich das Thema nicht mehr los.
Welche Entwicklungen oder Änderungen stellen Sie rückblickend fest?
Ich bin vor 30 Jahren für die Recherche zu meiner Diplomarbeit in die USA gefahren und habe die „Gurus“ der SRI-Szene interviewt. SRI steht für Socially Responsible Investment. Diese Reise muss mittlerweile kein Studierender mehr machen, denn die Führungsrolle hat sich eindeutig nach Europa verschoben. Dies ist schon mal eine der wesentlichen Änderungen, nach denen Sie gefragt haben.
Zum Zweiten haben sich die Konzeptionen des nachhaltigen Investierens vervielfältigt und vertieft. Am Anfang ging es vor allem um Ausschlusskriterien – also darum, bestimmte problematische Investitionen auszuschließen. Später kamen Bewertungen hinzu, beispielsweise Ratings oder Best-in-Class-Konzepte, um gezielt in besonders nachhaltige Unternehmen zu investieren. Inzwischen spielt auch die aktive Einflussnahme auf Unternehmen hinsichtlich ESG eine große Rolle, zum Beispiel Abstimmungen bei Hauptversammlungen. In den letzten Jahren liegt der Schwerpunkt immer stärker auf Klimaschutz und Impact-Messung.
Parallel dazu wurden immer mehr Assetklassen in die Betrachtung einbezogen. Ursprünglich dachte man bei Nachhaltigkeitsanalyse immer nur an Aktien, später wurden Unternehmensanleihen integriert und eigene Bewertungslogiken für Staatsanleihen entwickelt. Und heute gibt es Ratings und Anlageprodukte für Immobilien, Spar- und Girokonten, Private Equity und Venture Capital, etc.
Was die inhaltliche Definition und Schwerpunktsetzung betrifft, so gab es anfangs einen nordamerikanischen Entwicklungsstrang unter dem Begriff Socially Responsible Investment (SRI) und einen europäischen, der eher auf Öko-Investment fokussierte. Spätere ganzheitliche Konzepte orientierten sich oft am Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit, am Stakeholdermodell oder an der Aufteilung in E, S und G – Environmental, Social und Governance. Auch die Einführung der Sustainable Development Goals (SDGs) der Vereinten Nationen in 2015 wurde von der Investmentwelt aufgenommen.
Unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung, haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten zwei grundsätzlich verschiedenen Interpretationsrichtungen herausentwickelt: die werteorientierte Betrachtung, welche möglichst umfassend den eigenen positiven oder negativen Beitrag eines Unternehmens zu Umwelt- und Sozialthemen analysiert, und die risikoorientierte Sichtweise, die hinterfragt, von welchen materiellen ESG-Risiken ein Unternehmen betroffen ist und wie es diese im Sinne des wirtschaftlichen Erfolgs managt.
Massiv verändert hat sich das politische Interesse an nachhaltigen Kapitalmärkten. Während nachhaltiges Investieren früher weitgehend unreguliert war, bestimmen heute zahlreiche gesetzliche Vorgaben das Feld. Besonders die EU hat mit neuen Richtlinien versucht, die Finanzwirtschaft stärker auf Umwelt- und Klimaschutz auszurichten – mit guten Absichten, aber oft holpriger Umsetzung.
Und wie hat sich die Bedeutung der nachhaltigen Geldanlage verändert?
Eine der Forschungsfragen meiner Diplomarbeit war jene nach dem Marktanteil von Ethikfonds in Europa und Nordamerika, und das Ergebnis lag für die Mitte der 1990er-Jahre bei weit unter 1 %. Davon ausgehend gab es in Folge einige Sprünge in der Marktentwicklung. Zum Beispiel stieg im Anschluss an die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 die Sensibilität für Wirtschaftsethik und Governance und fand dauerhaften Eingang in die Analysetools von Investoren. Auch das Thema Klimawandel wurde immer mehr als ökonomisch relevanter Faktor erkannt und ist heute in Form von CO2-Footprints Mess- und Steuerungsgröße in Portfolios. Heute liegt europaweit der Marktanteil von ESG-orientierten Fonds – bei großzügiger Interpretation des Begriffs – bei rund 50 %. Der große Nachfrageschub kam allerdings ursprünglich nicht von Privatinvestoren, sondern von institutionellen Anlegern – allen voran Pensionsfonds mit Anlagevolumina von oft mehreren Hundert Milliarden Euro, z.B. der norwegische Government Pension Fund oder CalPERS in den USA.
Wie lange arbeiten Sie bereits mit dem Haus des Stiftens zusammen?
Seit 2018. Im ersten Schritt haben wir das Haus des Stiftens beim Set-up ihrer Nachhaltigkeitsmethodik unterstützt. Ergebnis war ein Katalog mit Positiv- und Negativkriterien sowie methodischen Anforderungen an die Vermögenspooling-Fonds bzw. deren Segment-Manager. Seit damals überprüfen wir – meist jährlich – die Umsetzung der Kriterien und begleiten die Vermögenspooling-Fonds dabei, ihren Nachhaltigkeitsscore laufend zu verbessern.
In letzter Zeit sind viele Anbieter in den Markt für nachhaltige Geldanlagen eingestiegen. Was unterscheidet Sie von den anderen?
Das stimmt für Anbieter nachhaltiger Finanzprodukte und Berater, die sich mit ESG-Berichterstattung befassen. Im Bereich der Research-Agenturen hingegen zeigt sich seit einigen Jahren ein Konzentrationsprozess. rfu research setzt auf maßgeschneiderte Lösungen für wertorientierte Investoren, zu denen auch viele Stiftungen gehören.
Was ist das Besondere an den vom Haus des Stiftens initiierten Kriterien für ethisch-nachhaltiges Investieren?
Statt sich auf einzelne Stiftungszwecke und Präferenzen zu beschränken, hat das Haus des Stiftens seine Kriterien so festgelegt, dass ein möglichst breiter Konsens erreicht wird. Hierfür wurden nicht nur die etablierten Standards der ethisch-nachhaltigen Geldanlage berücksichtigt, sondern ausdrücklich auch die bestehenden Leitfäden der evangelischen und der katholischen Kirche Deutschlands.
Wie sehen Sie die Zukunft des nachhaltigen Investierens, insbesondere im Hinblick auf die wachsende Kritik in den USA?
Nachhaltiges Investieren bleibt vor allem ein europäisches Thema. Laut einer aktuellen Morningstar-Studie entfallen Ende 2024 bereits 84 % der ESG-Fondsvolumina auf Europa, während der US-Anteil mit rückläufiger Tendenz nur noch bei 11 % liegt. Auch wenn diese Zahlen nur die Fondsbranche umfassen, aber nicht ESG-orientierte Mandate und Direktanlagen erfassen, zeigen sie klar, wo nachhaltiges Investieren zu Hause ist.
Politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, aber auch Stimmungslagen und die Einschätzung von Markt-Opportunitäten werden auch künftig die Entwicklung des ESG-Segments beeinflussen. Ein signifikanter Rückschlag von dem in Europa bereits erreichten hohen Niveau ist jedoch nicht zu erwarten. Gleichzeitig wird weiteres Wachstum zunehmend schwierig, denn es braucht für die steigende Zahl an ESG-Portfolios auch das zugehörige nachhaltige „Anlagematerial“ in Form von Aktien sowie Anleihen von Unternehmen und Staaten, deren Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit deutlich langsamer von Statten geht.
Vielen Dank für das Gespräch – wir sind gespannt, wie sich das Thema weiterentwickelt!
Foto: Prusaroo Yakk, stock.adobe.com
Autor dieses Fachbeitrags
Mag. Reinhard Friesenbichler ist
Gründer und Geschäftsführer der rfu research mit Sitz in Wien, die seit 25 Jahren darauf spezialisiert ist, ethische Zielsetzungen in Anlagekriterien zu übersetzen und deren Einhaltung laufend zu überprüfen.
www.rfu.at

„Die Ziele und Werthaltungen einer Stiftung sollen auch in der Investmentsphäre umgesetzt werden.“
Reinhard Friesenbichler
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